^REPORT MARIA CALLAS R
hochfreq u en tes Pfeifen. B isher w ar die
einzige M öglichkeit es loszuw erden, alle
hohen Frequenzen zu beschneiden - oder
das Pfeifen drinzulassen. M it Retouch ist
es uns m öglich, n u r das Pfeifen zu isolie-
ren u n d zu entfernen, ohne dabei andere
K langinform ationen zu verlieren. N atü r-
lich m uss m an es präzise u n d vorsichtig
einsetzen, denn m an k an n auch großen
Schaden dam it anrichten.“
M anchm al sind die Störgeräusche nicht
ganz so dram atisch wie im oben gen an n -
ten Beispiel aus „Tosca“. Es gibt aber auch
Fälle, wo klangliche U nzulänglichkeiten
unsere W ah rn eh m u n g u n d Beurteilung
der Stim m e selbst beeinflussen können.
Sim on G ibson dem onstriert das anhand
von T u ran d o ts A rie „In questa reggia“:
„H ier haben w ir einen w eiteren tech n i-
sch en F ehler, es ist eine A rt E iern a u f
d em F o rtissim o -H ö h e p u n k t d e r A rie.
Ihre Stim m e klingt in W irklichkeit aber
gar n icht so extrem w abernd. In Retouch
sieht m an diesen Fehler ganz klar in den
O bertönen der Stim m e. W ir kön n en ihn
also isolieren, ohne die Stim m e direkt zu
berühren. A u f der LP w ar das kaum zu
hören, aber in H igh R esolution w ird es
wie unter einem M ikroskop vergrößert.
Solche Fehler kön n en an der A ufnahm e-
m aschine liegen, oder es ist ein A spekt
am B and selbst, sie tre te n b ei A n alo g -
b än d ern der 50er- u n d 60er-Jahre relativ
häufig auf.“
Keine kosm etische Behandlung
D er Ü berarbeitungsprozess der A ufnah-
m en verlief dabei in verschiedenen Stufen:
Z unächst einm al m usste das u rsp rü n g -
liche A u fzeich n u n g sm aterial ausfindig
gem acht w erden, das anschließend ohne
V erlust von K langinform ationen der ana-
logen B änder digitalisiert w urde. Diese
D igitaldateien w aren dann der A usgangs-
p u n k t für die B earbeitung m it R etouch.
D abei stellt A llan R am sey jed o ch eines
klar: „W ir w ollten fü r dieses R em aste-
ring die A ufnahm en keiner kosm etischen
B ehandlung unterziehen oder m it techni-
schen Tricks u n d K niffen aufrübschen.
W ir w ollten n u r die O rig in alb än d er in
d er b estm ö g lich en T o n q u a litä t tra n s -
ferieren. Es geht also n ich t d aru m , d er
A ufnahm e etwas hinzuzufügen, sondern
schlicht darum , alle Inform ationen hörbar
zu m achen, die enthalten sind.“
In
m ü h sa m e r D e ta ila rb e it h a b e n
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zu
m ach en .
D abei haben sie sich
jed o ch n ich t n u r
a u f ih r eigenes feines G eh ö r verlassen,
so n d ern auch die A ufzeichnungen von
den ursprünglichen A ufnahm esitzungen
berücksichtigt, erzählt Sim on Gibson: „Es
gibt alte A kten m it N otizen der P ro d u -
zenten, denen w ir folgen konnten. Das ist
zum Beispiel die ,N orm a‘-A ufnahm e von
1960, deren O rdner alle A ufzeichnungen
u n d A ngaben zu S chnitt u n d M ontage
enthält. W ir haben also die ursp rü n g li-
ch en A n w eisungen v o n W a lte r Legge,
die er dam als beim Schnitt gem acht hat.
A u ßerdem h aben w ir die P artitu ren zu
einigen A u fn ah m en , in d enen er seine
A nm erkungen n o tiert hat.“
Es ist ein b esonderer M om ent, w enn
m a n in einem S ch n ittrau m d er leg en -
d äre n A bbey R oad Studios ste h t u n d
p lö tz lic h
das
M a ste rta p e
d e r
C al-
las-„T osca“ von 1953 in der H and hält.
Im m erh in ist diese P ro d u k tio n ein h e -
rau srag en d es S tück P lattengeschichte.
Blickt m an in die A rbeitsakte, steht dort
etwa: „D ie Seiten 166-167 in der P arti-
tur. H o h er V erkehrslärm . Bitte R um pel-
filter anw enden oder, falls erforderlich,
T iefensperre h ö h e r setzen, u m so w eit
wie m öglich zu elim inieren.“ Im Klartext
bedeutet dies, dass m an dam als alle tiefen
Frequenzen opfern m usste, um den V er-
kehrslärm einzudäm m en. H eute gibt es
glücklicherw eise andere M öglichkeiten,
so Allan Ramsey: „Es w ar so, dass bei den
A ufnahm en zu ,N orm a‘ u n d ,G ioconda‘
die Fenster der Scala offen standen, die
M enge an stö ren d e m U m w eltlärm ist
geradezu absurd. A llerdings sind unsere
L autsprecher u n d technischen M öglich-
keiten auch viel besser. Es kan n also sein,
dass diese Störgeräusche dam als gar nicht
so stark aufgefallen sind. M it Retouch sind
wir n u n in der Lage, in das K langbild zu
zoom en, um die Störgeräusche zu isolie-
ren, ohne dass wir die tiefen F requenzen
beschneiden m üssen. Die Celli und Bässe
bleiben also völlig u n b erü h rt.“
M an k o m m t n ich t um hin: D urch die
A rbeit d er T o n te c h n ik e r h ö rt m a n so
m anche A ufnahm e, die m an blind zu ken-
nen glaubt, m it anderen Ohren. Das „Vissi
d’A rte“ m ag hier erneut als eindrückliches
Beispiel dienen. H ö rt m an die V ersion
im R em astering von 1997, das ebenfalls
v o n A llan R am sey sta m m t, k lin g t die
Stim m e d er Callas leicht um w ölkt, wie
hinter einem schw eren V orhang. In der
aktuellen Ü berarbeitung ist davon nichts
m ehr zu spüren: Das K langbild ist direk-
ter, w o d u rch sich auch die E m o tio n en
unm ittelbarer m itteilen. Fast hat m an den
Eindruck, als wäre m an live dabei. N atü r-
lich bleibt das eine W unschvorstellung -
aber eine schöne.
B jörn W o ll
Maria Callas-T h e Complete Studio
Recordings (1949-1969), Warner 69 CDs,
Preis: zirka 200 Euro
Die Box enthält neben den 26 Opern und 13
Recitals sämtliche Libretti auf CD-Rom sowie ein
132-seitiges Buch mit Fotos und Dokumentatio-
nen zu Karriere, Aufnahmen und Remastering.
Die Aufnahmen werden zwischen September
und November auch einzeln veröffentlicht.
Callas in HD
Die HD-Downloads des neuen Remasterings
in 24 Bit/96 kHz finden Sie unter www.high-
resaudio.com und www.hdtracks.com, iTunes
(Mastered for iTunes) hat ein eigenes Format,
das HD zumindest nahekommt.
50 STEREO 11/2014